Historische Erinnerung im städtischen Raum: Rom in der Spätantike

Historische Erinnerung im städtischen Raum: Rom in der Spätantike

Organisatoren
PD Dr. Ralf Behrwald (LMU München) und Prof. Dr. Christian Witschel (Universität Heidelberg) unterstützt durch die Gerda Henkel Stiftung
Ort
Heidelberg
Land
Deutschland
Vom - Bis
06.07.2006 - 08.07.2006
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Von
Christian Witschel, Universität Heidelberg; Ralf Behrwald, LMU München

Im Seminar für Alte Geschichte und Epigraphik der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg fand am 7. und 8. Juli 2006 ein internationales Kolloquium mit insgesamt 15 Referenten (aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, der Schweiz, Ungarn und den USA) zum Thema „Historische Erinnerung im städtischen Raum: Rom in der Spätantike“ statt. Veranstalter waren PD Dr. Ralf Behrwald (LMU München) und Prof. Dr. Christian Witschel (Universität Heidelberg). Die Tagung wurde finanziell durch die Gerda Henkel Stiftung getragen. Die Publikation der Beiträge wird in der Reihe „Heidelberger Althistorische Studien und Epigraphische Beiträge“ (HABES) im Steiner Verlag erfolgen.

Einführung

Die topografische Verankerung historischer Erinnerung ist in der geschichtswissenschaft¬lichen Forschung der jüngeren Zeit intensiv für sehr verschiedene Epochen diskutiert worden. Dabei hat die Vorstellung einheitlicher Formen der Erinnerung oder weitgehend monolither Geschichtskulturen jedoch bisweilen den Blick verstellt auf die Vielschichtigkeit historischen Erinnerns selbst an ein- und demselben Ort und zu einem eng umrissenen Zeitpunkt. Ein solches Nebeneinander unterschiedlicher erinnerter Inhalte, aber auch verschiedener Modi historischer Erinnerung lässt sich nirgendwo deutlicher beobachten als im städtischen Raum Roms während der Spätantike. In der Christianisierung der Stadt und ihrer Führungsschichten, in dem spannungsgeladenen Verhältnis zwischen Senatsaristokratie und Kaisertum und in dem Beharren auf die zentrale Bedeutung Roms für das gesamte Reich waren soziale und religiöse Gruppen ebenso wie politische Akteure ständig bemüht, ihren Platz in der römischen Geschichte und konkret die Formen ihrer Verortung in der Ewigen Stadt zu definieren.

Diesen vielschichtigen mentalitäts-, sozial- und religionsgeschichtlichen Prozessen in einer Phase starken Wandels sollte das Heidelberger Kolloquium nachgehen. Die unterschiedlichen Spielarten historischer Erinnerung im spätantiken Rom wurden dabei aus der Perspektive von Archäologie, Philologie und Alter Geschichte beleuchtet. Durch die präzise Beschreibung verschiedener Geschichtskulturen im Rom der Spätantike und durch die Bestimmung von Interdependenz oder Unabhängigkeit dieser stark divergierenden Formen von Instrumentalisierung des städtischen Raums wurde dabei ein Ertrag erzielt, der auch mit Blick auf eine theoretische Analyse von historischer Erinnerung im städtischen Raum von beträchtlichem Interesse ist.

Die Tagung war – neben einer Einführung und einem zusammenfassenden Schlussreferat – in fünf größere thematische Blöcke unterteilt: 1. „Das spätantike Rom in der paganen Wahrnehmung“; 2. „Neue Akzente in den christlichen Vorstellungen von Rom“; 3. „Die Konstruktion historischer Erinnerung in den spätantiken Inschriften Roms“; 4. „Das christliche Stadtbild Roms – eine neue (Erinnerungs-)Welt?“; 5. „Das Stadtbild Roms in der Spätantike zwischen Bewahrung und Verfall“.

Einzelreferate

I. Das spätantike Rom in der paganen Wahrnehmung

In seinem Eröffnungsreferat mit dem Titel „The Pagan Reaction that Never Was“ geht Alan Cameron (New York; adc1@columbia.edu) der Frage nach, ob es, wie von der Forschung fast durchweg angenommen, tatsächlich gegen Ende des 4. Jhs. unter dem Usurpator Eugenius noch einmal zu einer (letzten) groß angelegten heidnischen Opposition in Rom kam. Im Wesentlichen stützt sich diese These auf lediglich drei Texte: Die Kirchengeschichte des Rufinus, einen Brief des Ambrosius an Eugenius (verwendet auch in der vita Ambrosii des Paulinus) und schließlich das anonym überlieferte Carmen contra paganos. Die Erzählung des Rufinus erweist sich jedoch als stark rhetorisch überhöhte Darstellung, die vor allem dazu gedacht war, die pietas des Kaisers Theodosius herauszustreichen. Auch aus dem Brief des Ambrosius, dessen Aussage von Paulinus umgestaltet wurde, kann eine gezielte Förderung des Heidentums durch Eugenius – der selbst Christ war – nicht herausgelesen werden. Das Carmen contra paganos hingegen bezieht sich vermutlich nicht auf Nicomachus Flavianus, wie die Mehrheit der Forscher immer noch glaubt, sondern auf Vettius Agorius Praetextatus; und es dürfte, wie Cameron zeigt, aus der Feder des Papstes Damasus stammen. Damit fällt es als Quelle für die „letzte heidnische Reaktion“ aus; und diese selbst erweist sich als eine moderne Konstruktion.

Ein Brennpunkt des öffentlichen Lebens und der politischen Kommunikation in Rom war der Circus maximus. Dies war allerdings auch ein Ort, der seit alters her mit verschiedenen, mehr oder weniger prominenten heidnischen Kulten verbunden war, und als solcher musste er in der christlichen Spätantike neu definiert werden, wie etwa die Angriffe Tertullians zeigen. Richard Lim (Northampton MA; rlim@smith.edu) untersucht darum in seinem Vortrag „Inventing Secular Space in the Late Antique City: Interpreting the Circus Maximus“, ob es in dieser Zeit zu einer „Säkularisierung“ dieser zentralen Spielstätte kam. Er fragt dabei zunächst, wie stark die religiösen Konnotationen des Circus maximus, die vor allem von den römischen Antiquaren – und von Kritikern wie Tertullian – hervorgehoben wurden, tatsächlich waren. Lim zeigt, dass einige von ihnen den Zeitgenossen kaum bekannt gewesen sein dürften. Konstantin jedenfalls förderte den Circus in starkem Maße, während sein Sohn Constantius II. dezidiert den eher profanen Charakter der Circusspiele betonte, was durchaus als eine Strategie der „De-Sakralisierung“ dieser Spektakel (voluptates) gesehen werden kann, wodurch diese – unter Ausblendung der heidnischen Anklänge – auch in einer christlichen Umwelt als ein Teil der zu bewahrenden Vergangenheit fortgeführt werden konnten. Der Circus selbst wurde in diesem Prozess zu einem Symbol der römischen Tradition, der kaiserlichen Sieghaftigkeit und der kosmischen Ordnung, mit dem sich auch die Christen abfinden konnten.

Im Zentrum des Vortrages von Philippe Bruggisser (Fribourg; philippe.bruggisser@unifr.ch) mit dem Titel „Prétextat et la restauration du portique des Dei consentes“ steht die inschriftlich überlieferte Restaurierung der porticus Deorum consentium am Forum Romanum bzw. der dort aufgestellten, vergoldeten Götterbilder durch den Stadtpraefekten Vettius Agorius Praetextatus im Jahre 367/68 (CIL VI 102 = ILS 4003). Diese Restaurierung hat allerdings an dem Gebäude kaum sichtbare Spuren hinterlassen; sie scheint daher vor allem von politisch-religiöser Signifikanz gewesen zu sein, zumal Praetextatus einer der exponiertesten Vorkämpfer des Heidentums war. Besondere Bedeutung gewinnt in diesem Zusammenhang die Bezeichnung der Götterbilder als sacrosancta simulacra. Eine detaillierte Untersuchung der Verwendung des eher seltenen Wortes sacrosanctus kann nachweisen, dass dieser Begriff erst ab dem späteren 2. Jh. auf religiöse Objekte angewandt und dann zwischen Heiden und Christen neu „verhandelt“ wurde. Sein Einsatz an diesem prominenten Ort scheint – ebenso wie der im spätantiken Rom rare, da explizite Hinweis auf den dort ausgeübten Kult – ganz bewusst erfolgt zu sein.

Mit Cassiodor rückt sodann ein Autor des 6. Jhs. in den Mittelpunkt, der zwar selbst ein überzeugter Christ war, in seinen Beschreibungen Roms die mittlerweile erfolgte Christianisierung des Stadtbildes aber weitgehend ausblendete, wie Valérie Fauvinet-Ranson (Paris – Nanterre; V.Fauvinet-Ranson@wanadoo.fr) in ihrem Vortrag „Le paysage urbain de Rome chez Cassiodore: une christianisation passée sous silence“ erläutert. Cassiodor wollte – anders als sein Zeitgenosse Prokop – mit Sicherheit nicht das Überleben heidnischer Praktiken und Orte im Rom seiner Zeit aufzeigen, aber die Stadt, die er evoziert, ist eben auch keine durchgehend christianisierte. So ist sehr auffällig, dass die zahlreichen Kirchen Roms bei Cassiodor fast keine Erwähnung finden, während die bedeutenden Monumente der römischen Vergangenheit an vielen Stellen auftauchen. Dies gilt auch für Gebäude, deren Zustand sich bis zum frühen 6. Jh. erheblich verändert hatte – davon ist bei Cassiodor jedoch häufig nichts zu spüren, der an vielen Stellen nicht die Realität seiner Zeit vorführt, sondern eine sehr traditionelle Vision der Metropole bietet. Auf der anderen Seite ist Cassiodor nicht völlig unsensibel gegenüber den Transformationen, die sich im Stadtbild Roms vollzogen, aber er stellt seine Beschreibungen ganz in den Dienst des ideologisch aufgeladenen Restaurationsprojekts Theoderichs d.Gr.

II. Neue Akzente in den christlichen Vorstellungen von Rom

Mit die wichtigste Figur bei der Erschaffung einer neuen, christlich geprägten Stadt- und Erinnerungslandschaft in Rom war ohne Zweifel Papst Damasus (366-84). Seinem Wirken gilt der Vortrag von Marianne Sághy (Budapest; saghym@ceu.hu) mit dem Titel: „Inscribing History at Rome: Pope Damasus and the inventio martyrum“. Ihr geht es insbesondere um die Frage, wie durch ihn Orte der Märtyrerverehrung geschaffen wurden, denn die an einen bestimmten, entsprechend ausgestalteten Platz geknüpfte Verehrung der christlichen „Heroen“ war in den frühen Gemeinden keineswegs eine Selbstverständlichkeit. In Rom wurde sie im Wesentlichen erst im 4. Jh. begründet, zunächst durch Konstantin und dann durch Damasus, der die Monumentalisierung der Märtyrergräber erheblich vorantrieb und diese mit von ihm selbst verfassten Inschriften versah. Damit bediente er sich eines in der römischen Tradition stark verwurzelten Mediums, das er nun für christliche Zwecke adaptierte. Er schuf dadurch auch als erster so etwas wie eine offizielle Geschichte der römischen Kirche.

Die gebaute Stadtlandschaft Roms mit ihren vielen altehrwürdigen Monumenten fand auch Eingang in die zahlreichen christlichen Heiligenlegenden. Mit diesem Thema befasst sich Ralf Behrwald (München; ralf.behrwald@lrz.uni-muenchen.de) in seinem Vortrag „Heilsgeschichte in heidnischer Szenerie. Die Denkmaltopographie Roms in der christlichen Legendenbildung“. Anders als christliche Autoren wie etwa Prudentius, befassten sich die Passiones der römischen Märtyrer, die zumeist in der Zeit um 500 entstanden sein dürften, kaum mit einer Christianisierung der Stadtlandschaft Roms. Ihre scheinbar präzisen Angaben zur städtischen Topographie waren häufig ohne eigene Kenntnis der Örtlichkeiten aus anderen Texten geschöpft und konzentrieren sich auf wenige Bezirke der Stadt. Ähnliches gilt für die Actus Silvestri, die gerade keinen Gegensatz zwischen römischer Tradition und christlichem Glauben konstruieren wollen, sondern einen weitgehend konfliktfreien Übergang vom heidnischen zum christlichen Rom propagieren. Eine gezielte Auseinandersetzung mit den Monumenten der heidnischen Vergangenheit bleibt in diesen Texten aus, weil sie durch einen gänzlich anderen Modus topographischer Erinnerung geprägt sind.

III. Die Konstruktion historischer Erinnerung in den spätantiken Inschriften Roms

In welcher Form Vergangenheit und Gegenwart in den spätantiken Inschriften Roms aufscheinen, untersucht Silvia Orlandi (Rom; rufilla@libero.it) in ihrem Vortrag „Passato e presente nell’epigrafia tardoantica di Roma“. Der Rückbezug auf die – als Modell empfundene – Vergangenheit manifestierte sich im spätantiken Rom in verschiedenen Phänomenen, etwa im langen Festhalten an der traditionellen Spielkultur bis in das 6. Jh. oder in dem besonderen antiquarischen Geschmack dieser Epoche. Alle diese Punkte wurden auch in die epigraphische Kommemorierung übernommen, die sich damit als ein besonders wichtiges Medium dieses Vergangenheitsbezuges gerade innerhalb der römischen Oberschicht erweist. Gleichzeitig lassen die Inschriften aber auch eine gewisse Distanz zur Vergangenheit erkennen, indem etwa eine durch Ruinen und Verfall geprägte Gegenwart mit dem Glanz früherer Jahrhunderte kontrastiert wird. Es ist geradezu erstaunlich, wie oft in den spätantiken Inschriften Roms (gerade denen des 5. Jhs.) der Verweis auf die aeternitas der Stadt mit detaillierten Beschreibungen verfallender Monumente kombiniert erscheint; und wie offen dabei die Probleme und Gefährdungen des immensen Baubestandes der Metropole benannt werden, den es zu bewahren gilt.

Es ist unbestreitbar, dass in den zahlreichen frühchristlichen Inschriften Roms neue Formen der Erinnerung auftraten. Auf der anderen Seite bestand die traditionelle Inschriftenkultur in Rom bis zum Beginn des 6. Jhs. fort. Christian Witschel (Heidelberg; christian.witschel@urz.uni-heidelberg.de) fragt darum in seinem Vortrag „Alte und neue Erinnerungshorizonte in den frühchristlichen Inschriften Roms“ danach, inwieweit es zu einer Interaktion zwischen diesen beiden Inschriftenwelten kam. Auf den ersten Blick überwiegt der Eindruck einer strikten Trennung: Der öffentliche Raum wurde fast ausschließlich durch die althergebrachten civic inscriptions besetzt, die bis in das späte 5. Jh. keinen deutlich christlichen Bezug aufwiesen, sondern die traditionelle Form der memoria betonten. Christliche Inschriften fanden sich hingegen fast ausschließlich in abgegrenzten Räumen, etwa am Grab oder im Kircheninneren. Auf der anderen Seite ist auffällig, in welchem Umfang die christliche Gemeinde Roms das Medium Inschrift aufgriff und zu einer wichtigen Plattform christlicher Kommemoration ausbaute. Dabei ist unverkennbar, dass etwa Papst Damasus und andere christliche Elitenangehörige in ihren Inschriften weiterhin in hohem Maße auf traditionelle Wertvorstellungen und Erinnerungsmodi rekurrierten. Daneben kam es jedoch bisweilen auch zu einer expliziten, inschriftlich festgehaltenen Konfrontation zwischen alter und neuer Vorstellungswelt – was davor warnen sollte, zu vorschnell eine reibungslos ablaufende Harmonisierung ursprünglich gegensätzlicher Mentalitäten zu postulieren.

IV. Das christliche Stadtbild Roms – eine neue (Erinnerungs-)Welt?

Nicht wenige Zeugnisse vermitteln den Eindruck, die Erinnerungsorte der Christen seien fast sämtlich außerhalb der Mauern Roms, also bei den Märtyrergräbern im suburbium, situiert gewesen. Diesem Problem widmet sich der Vortrag von Steffen Diefenbach (Augsburg; steffen.diefenbach@phil.uni-augsburg.de) mit dem Titel „Urbs und ecclesia – Bezugspunkte kollektiver Heiligenerinnerung im Rom der nachkonstantinischen Zeit“. Er bezweifelt, dass sich durch diese christliche Heiligentopografie, die von Papst Damasus kräftig gefördert wurde, tatsächlich eine völlig neue, (vor)städtische Identität herausgebildet habe. Primär relevant blieb hingegen auch in den innerkirchlichen Auseinandersetzungen immer der intramurale Bereich. Um und in diesem wurden die entscheidenden Konflikte geführt, während eine Abdrängung in das suburbium einen erheblichen Nachteil darstellte, da die dortigen Verehrungsstätten eben kein entsprechendes Prestige vermitteln konnten. Es dauerte jedenfalls noch lange Zeit nach Damasus, bis die Christianisierung der urbs Roma endgültig vollzogen war. Die gezielte Monumentalisierung der Heiligengräber durch Damasus muss daher in einem anderen Licht gesehen werden, nämlich als ein Versuch, mit der traditionellen Sprache der Elite den Vorrang Roms als Zentrum des Reiches auch innerhalb der christlichen Kirche herauszustellen.

Einer der zentralen Erinnerungsorte der christlichen Gemeinde war unzweifelhaft das Grab des Apostels Petrus und die darüber im Laufe der Zeit errichteten Baulichkeiten, deren Entwicklung Franz Alto Bauer (München; Franz.Alto.Bauer@lmu.de) in seinem Vortrag „Ort der Erinnerung – Erinnerungsort. Sankt Peter in Spätantike und Frühmittelalter“ nachzeichnet. Die archäologisch fassbaren Anfänge der Petrusverehrung liegen in einer um die Mitte des 2. Jhs. über seinem vermeintlichen Grab errichteten Ädikula. Über dieser intakt belassenen Verehrungsstätte wurde dann in einer aufwendigen Ummantelung die konstantinische Peterskirche errichtet. Gleichzeitig wurde in der Bildkunst die Überlieferung ausgebaut, Petrus sei nach Rom gekommen und habe dort das Martyrium erlitten. Die Petersbasilika war im 4. Jh. in erster Linie ein überdachter Ort für Bestattungen, die die besondere Nähe des Apostelgrabes suchten; und sie diente dem Gedenken an diese Verstorbenen, die häufig dem Kreise der sozialen, nunmehr christianisierten Elite entstammten. Diese Totenerinnerung nahm oft die Form eines kollektiven Gedächtnismahles an. Erst in einem zweiten Schritt erfolgte dann eine Vereinnahmung der Peterskirche durch die Päpste, die sich ab der Mitte des 5. Jhs. auch dort bestatten ließen und einen immer größeren Anteil an der Innengestaltung des Gebäudes hatten. Schließlich wurde die Petersbasilika nun auch zu einer Gemeindekirche mit geordneter Liturgie und zu einem Zentrum des überregionalen Pilgerwesens, so dass es im Frühmittelalter zu einer Internationalisierung der Peterskirche kam, die in deren Ausstattungsstücken sichtbar blieb.

Wie genau sich die neuen Kirchenbauten in den vorhandenen Stadtraum eingliederten, untersucht Beat Brenk (Basel/Rom; bbrenk@datacomm.ch) in seinem Vortrag „Die Wahrnehmung von Kirche und Straße im frühchristlichen Rom“ am Beispiel der Kirchen SS. Cosma e Damiano, S. Vitale, SS. Giovanni e Paolo und S. Paolo fuori le mura. Der gesamte Komplex des Forum Pacis wurde bereits im frühen 4. Jh. von Maxentius entscheidend umgestaltet. Im ersten Viertel des 6. Jhs. wurde dann im ehemaligen „Marmorsaal“ dieser Anlage die Kirche SS. Cosma e Damiano eingerichtet, augenscheinlich mit Zustimmung von Theoderich – denn hier handelt es sich um das erste Beispiel einer Wiederverwendung eines öffentlichen Raumes im Zentrum von Rom. Da in der Nähe während der Kaiserzeit Pharmazeutika verkauft worden waren, lag eine Weihung an die östlichen „Arztheiligen“ wohl nahe. Die meisten frühchristlichen Kirchen Roms liegen wie S. Vitale an einer antiken Straße, häufig an der Stelle einer früheren domus, wie sich dies im Falle von SS. Giovani e Paolo besonders eindrucksvoll nachweisen lässt. Durch diesen – durchaus auf Außenwirkung abzielenden – Transformationsprozess muss sich die Wahrnehmung des spätantiken Stadtbildes in nicht unerheblichem Maße verändert haben. Im Falle von S. Paolo fuori le mura wurde beim Neubau der Kirche im späten 4. Jh. sogar die Straßenführung in dem Gebiet verändert, um Platz für das große Gebäude zu schaffen und dieses zugänglich zu machen.

V. Das Stadtbild Roms in der Spätantike zwischen Bewahrung und Verfall

Ein wichtiger Ort der sozialen Kommunikation im spätantiken Rom waren die großen Häuser der senatorischen Oberschicht. Ihnen wendet sich Carlos Machado (Oxford/Rom; carlos.machado@linacre.ox.ac.uk) in seinem Vortrag „Between Memory and Oblivion: the End of the Roman domus” zu. Er untersucht dabei insbesondere diejenigen Prozesse, die zur Auflassung oder radikalen Umnutzung dieser Gebäude führten und damit möglicherweise das Ende eines bestimmten, in der römischen Tradition tief verankerten Lebensstils markierten. Dieser Vorgang begann – nach einer Phase der Expansion der aristokratischen Wohnkultur im 4. Jh. – augenscheinlich im frühen 5. Jh. nach der Eroberung der Stadt durch die Goten im Jahre 410 und setzte sich dann in unterschiedlichen Rhythmen während der folgenden Jahrhunderte fort, als ein nicht unerheblicher Teil der Aristokratie Rom verließ und nach Ravenna oder Konstantinopel umsiedelte. Nicht immer wurden dabei die Anlagen völlig aufgegeben, denn bisweilen blieben Teile der Häuser – oft die einfacheren – noch für längere Zeit in Benutzung. Andere Häuser gingen, etwa durch Schenkung, in kirchlichen Besitz über und wurden danach oft in Kirchen umgewandelt – oder aber weiter für Wohnzwecke genutzt, um Profit für die Kirche abzuwerfen. Wieder andere domus wurden aber auch im 5. oder gar im 6. Jh. noch einmal restauriert. All dies zeigt, dass wir es nicht mit einem linearen Verfallsprozess zu tun haben

Auch während der Spätantike bildeten die Kaiserfora einen der zentralen öffentlichen Räume im Stadtbild Roms. Der durchaus unterschiedlichen Entwicklung dieser Platzanlagen geht Roberto Meneghini (Rom; roberto.meneghini@libero.it) in seinem Vortrag „I Fori Imperiali nella tarda antichità” nach. Er beschreibt dabei zunächst anhand der Erkenntnisse der jüngsten Grabungen das Aussehen der Monumente in der Kaiserzeit und fragt nach deren Funktion, die häufig in ihrer Rolle als Orte des Kultes, der kaiserlichen Repräsentation, der politischen Kommunikation, der Gerichtstätigkeit sowie der Präsentation von Kunstwerken und Statuen zu suchen ist. Gerade hierdurch wurde auch die – mythische wie historische – Vergangenheit der Stadt visuell erfahrbar gemacht. In der Spätantike wurde dann gerade die Gerichtstätigkeit zunehmend in geschlossene Räume (secretaria) verlegt, während die Platzanlagen aufgrund dieses Funktionswandels teilweise ein neues Aussehen erhielten. Das gilt insbesondere für das Caesarforum, das nach dem Brand des Jahres 283 komplett neu strukturiert wurde, aber seinen offiziellen Charakter behielt; und für das Templum Pacis, das schon zu Beginn des 4. Jhs. eine neue Aufgabe als Marktplatz erhielt. Das Trajansforum hingegen blieb ein wichtiger Ort für die Aufstellung von Ehrenstatuen, die Publikation von Gesetzestexten und die Tätigkeit von Lehrern. Insgesamt überwog somit zumindest bis in das spätere 5. Jh. eher die Kontinuität in der Aufrechterhaltung der Platzanlagen, während unter Theoderich weite Teile des Augustusforums abgerissen wurden.

Einen der wichtigsten Einschnitte in der urbanistischen Entwicklung Roms während der Spätantike bildete die Errichtung eines gewaltigen Stadtmauerringes unter Kaiser Aurelian. Robert Coates-Stephens (Rom; robertcoates@tiscali.it) befasst sich darum in seinem Vortrag „The Walls of Aurelian” ausführlich mit diesem Bauwerk. Die neuen Mauern symbolisierten auch die nun viel stärker empfundene Verletzlichkeit der Stadt, der gegenüber man sich abschirmen musste. Sie wurden in der Spätantike mehrfach restauriert, wobei die große Kampagne zu Beginn des 5. Jhs. ihr Aussehen noch einmal entscheidend veränderte. Die wichtigste Entscheidung, die bereits in der Planungsphase getroffen werden musste, war die, wo genau der Mauerring verlaufen sollte, denn dadurch wurde auch das zukünftige Stadtbild maßgeblich definiert. Das galt besonders für die Regionen, wo die Mauer durch dicht besiedelte Viertel verlief, die nun durch eine circa 20 m breite Schneise partiell zerstört wurden, während das dabei frei werdende Baumaterial als Spolien in der Mauer verschwand oder für andere Arten der Wiederverwendung zur Verfügung stand. Andere, größere Gebäude wurden in den Mauerring einbezogen, aber ebenfalls stärker verändert oder teilweise abgerissen. Selbst Grabbezirke, die noch in voller Benutzung standen, waren von solchen Maßnahmen betroffen. Gerade die Zone der großen horti am Stadtrand wurde so nachhaltig umgestaltet – Rom war nun eine ‘geschlossene’ Stadt.

Ergebnisse

In seinem Abschlussreferat („An Overview and Perspective”) fasst Bryan Ward-Perkins (Oxford; bryan.ward-perkins@trinity.ox.ac.uk) einige der wichtigsten Ergebnisse des Kolloquiums zusammen. Er verweist dabei zunächst auf die sehr unterschiedlichen Wahrnehmungsweisen spätantiker Betrachter in bezug auf die Stadt Rom. Selbst Zeitgenossen etwa des frühen 6. Jhs. wie Cassiodor, Prokop und der Verfasser der Actus Silvestri hatten offenbar – in ihrer durchaus selektiven Art der Betrachtung – ganz unterschiedliche Stadtbilder vor Augen. Gerade die traditionelle und die christliche Sichtweise kamen dabei vielfach nicht wirklich zusammen, ja schlossen sich gegenseitig nicht selten sogar eher aus. Die sehr partikulären Formen der Erinnerung, die hierin sichtbar werden und denen bestimmte Auswahlmechanismen zugrunde lagen, lassen auch eine gewisse Vorsicht gegenüber Vorstellungen angebracht sein, die Lebenswelt des spätantiken Rom sei im Wesentlichen von verschiedenen Formen mehr oder minder fest gefügter kollektiver Erinnerungen dominiert gewesen. An jedem beliebigen Punkt konnte offenbar die Wahrnehmung der Gegenwart und die Anknüpfung an die Vergangenheit ganz unterschiedlich ausfallen.
Dazu trug mit Sicherheit auch bei, dass die erfahrbare Umwelt im spätantiken Rom sich im Laufe der Zeit immer uneinheitlicher gestaltete. So konnte man direkt neben glanzvoll restaurierten Gebäuden – wenn man wollte – Ruinen sehen, deren Vorhandensein auch in in den Inschriften nicht verschwiegen wurde. Prachtvolle Wohnhäuser wurden aufgelassen, aber gleichzeitig neue Kirchen errichtet. Es dauerte jedoch sehr lange, bis die neue christliche Topografie – die zudem noch im Spannungsfeld von intra- und extramuralen Verehrungsstätten stand – das Stadtbild Roms wirklich dominierte, so dass noch im frühen 6. Jh. ein Autor wie Cassiodor sie weitgehend aus seinen Beschreibungen ausblenden konnte. Gleichzeitig blieb die römische Vergangenheit zumindest an ausgesuchten, nunmehr ‘säkularisierten’ Plätzen wie dem Circus maximus oder den Kaiserfora noch bis in eine sehr späte Zeit visuell präsent und bildete damit einen Anknüpfungspunkt für Rückerinnerung.

Kontakt

Prof. Dr. Christian Witschel
Seminar für Alte Geschichte und Epigraphik
der Universität Heidelberg
Marstallhof 4
69117 Heidelberg
christian.witschel@urz.uni-heidelberg.de

PD Dr. Ralf Behrwald
Historisches Seminar, Abt. Alte Geschichte
der LMU München
Geschwister-Scholl-Platz 1
80539 München
ralf.behrwald@lrz.uni-muenchen.de


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